Funktionen und Folgen Künstlicher Intelligenz
in der Wissenschafts- und Hochschulorganisation
Innovationsanalyse und Transferentwicklung

INTERVIEW
Was können wir wissen? Klaus Mainzer faszinieren seit der Schulzeit die Grund- und Grenzfragen der Erkenntnisbildung. Bild: Hentschel.
TUM-"EMERITUS OF EXCELLENCE"
Wacher Geist zwischen Theorie und Technologie: Der KI-Grenzgänger Klaus Mainzer
15.07.2025, 20:15 | Lesezeit: 7 Min.
Kurz und gut
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Bereicherung für KIWIT: Klaus Mainzer wissenschaftlicher Beirat
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Gefragter Grundsatzdenker der Geistes- und Naturwissenschaften
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Philosophisches Profil: Künstliche Intelligenz als Erkenntnisfrage
Klaus Mainzer zählt zu den profiliertesten Stimmen, wenn es darum geht, die großen Fragen der Künstlichen Intelligenz zu durchdringen: gleichermaßen technologisch, philosophisch und ethisch. Mainzer hat an mehreren Universitäten geforscht und gelehrt – immer mit einem Blick für die Grundlagen komplexer Systeme und die Potenziale und Grenzen des Maschinellen. Wir freuen uns daher, ihn als neues Mitglied unseres wissenschaftlichen Beirats begrüßen zu dürfen. In den letzten Jahren hat Herr Mainzer eine Reihe viel beachteter Bücher vorgelegt, in denen er zeigt, wie die Entwicklung von KI mit unserem Verständnis von Mensch, Gesellschaft und Verantwortung verknüpft ist. Anlässlich seines jüngst erschienenen Philosophischen Handbuchs Künstliche Intelligenz (siehe Infokasten) haben wir ihm einige Fragen gestellt.
Herr Professor Mainzer, was können Informatiker und KI-Techniker aus diesem reichhaltigen Kompendium mitnehmen?
In diesem Handbuch werden zunächst die logisch-erkenntnistheoretischen und methodischen Grundlagen der KI anschaulich und genau erklärt, die auch für die anwendungsorientierte Arbeit von Informatikern und KI-Technikern wichtig sind. Das Innovationspotenzial der KI kann nämlich nur derjenige ausschöpfen, der die jeweiligen Möglichkeiten und Grenzen der KI-Tools kennt. Die Wissenschafts- und Technikgeschichte zeigen zudem, dass langfristige und grundlegende Forschungsdurchbrüche häufig nur möglich sind, wenn uns die interdisziplinäre Vernetzung von Philosophie, Logik, Informatik, Mathematik, Natur- und Ingenieurwissenschaften bewusst ist. Auch über diese Interdisziplinarität der KI-Forschung informiert das Handbuch.
Welche zentrale Einsicht bietet sich Geistes- und Sozialwissenschaftlern?
Wie bei keiner Technologie vorher zielt die KI-Forschung auf das Zentrum des menschlichen Selbstverständnisses, das angesichts der rasanten KI-Entwicklung einer ständigen Bewertung zu unterziehen ist. Neben der methodischen und kritischen Klärung der Grundbegriffe und Bewertung von Technik geht es schließlich um Orientierungswissen für Wirtschaft und Gesellschaft: Die KI-Forschung soll sich als nachhaltige und verantwortbare Dienstleistung für Mensch, Natur und Gesellschaft erweisen.
In den Anfängen der Informatik stellte sich die Frage, ob man sich in diesem Feld nicht auch in der Geisteswissenschaft bewegt. Wie denken Sie als interdisziplinärer Grenzgänger darüber – im Kontext der KI? Ist es nicht geradezu eindrucksvoll, dass es in der Informationswissenschaft ganz erheblich um Geistesfragen geht?
Tatsächlich sprach einer der Münchner Mitbegründer der Informatik in der Bundesrepublik Deutschland, Friedrich L. Bauer (Technische Universität München), von einer „Geistes-Ingenieurwissenschaft“. Er meinte damit, dass die Informatik mit der Entwicklung von Programmiersprachen einerseits wie Logik und Mathematik eine Geisteswissenschaft sei. Andererseits aber sind diese Formalismen für Maschinen geschrieben und orientieren sich an ingenieurwissenschaftlichen Prinzipien. In diesem Sinn wollte die klassische "symbolische" KI die menschliche Intelligenz in formalen Schlussregeln abbilden und programmieren.
Tatsächlich zeichnen sich aber menschliche Experten nicht nur durch formales Regelwissen, sondern auch durch unbewusstes Können und intuitive Fertigkeiten aufgrund von Erfahrung aus. Der Organismus mit seinen Sensoren für Tasten, Hören und Sehen spielt eine erhebliche Rolle für die menschliche Intelligenz und wird daher zunehmend in der KI-Entwicklung – z. B. neuromorphic (gehirn-orientiertes) computing und embodied (verkörperlichte) AI – berücksichtigt. Der alte cartesische Gegensatz von Geist und Körper erweist sich als überholt.
Klaus Mainzer (Hrsg.) (2024): Philosophisches Handbuch Künstliche Intelligenz. Wiesbaden: Springer VS.
Klaus Mainzer (Hrsg.) (2019): Künstliche Intelligenz – Wann übernehmen die Maschinen? Berlin/Heidelberg: Springer.

Unser Beirat schätzt bei Werner Heisenberg, an den im "Quantenjahr 2025" erinnert wird, die große philosophische und erkenntnismäßige Tiefe. Bild: NewScientist.

Für seine Verdienste wurde Klaus Mainzer von der Technischen Universität München in den Kreis der "Emeriti of Excellence" aufgenommen. Auch als Seniorprofessor forscht Mainzer weiter. Bild: TUM.
Zur Person
Prof. Dr. Klaus Mainzer, geboren 1947 in Opladen, studierte Mathematik, Physik und Philosophie. Er zählt zu den renommiertesten Wissenschaftsphilosophen im deutschsprachigen Raum und ist international als Vordenker in den Bereichen Komplexitätstheorie, Künstliche Intelligenz, Digitalisierung und Wissenschaftsethik bekannt. Nach Studium, Promotion und Habilitation an der Universität Münster war er unter anderem Heisenberg-Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), bevor er Professuren an den Universitäten Konstanz und Augsburg übernahm. 1998 war er Gründungsdirektor des Interdisziplinären Instituts für Informatik in Augsburg. Von 2008 bis 2016 sodann Professor für Philosophie und Wissenschaftstheorie an der Technischen Universität München (TUM), wo er das Munich Center for Technology in Society sowie das TUM Institute for Advanced Study leitete. Seit 2016 TUM Emeritus of Excellence und ab 2019 zugleich Seniorprofessor der Eberhard Karls Universität Tübingen. Mainzer beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit den Grundlagen komplexer Systeme, der Mathematik emergenter Phänomene sowie den Grenzen und Chancen algorithmischer Intelligenz. Unter seinen zahlreichen Büchern sind "Der kreative Zufall", "Thinking in Complexity", "Künstliche Intelligenz – Wann übernehmen die Maschinen?", "Quantencomputer" und "Die Berechnung der Welt" zu erwähnen. Viele seiner Werke sind in mehrere Sprachen übersetzt worden. Als Berater von Wissenschaft, Politik und Wirtschaft bringt er erfahrungsgesättigte Perspektiven in technologische Innovationsprozesse ein. Mitgliedschaften in diversen wissenschaftlichen Akademien und Gremien, u. a. als Präsident der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste. Sein besonderes Anliegen ist es, Wissenschaft nicht als isoliertes Spezialwissen, sondern als kritischen, verantwortungsvollen Beitrag in einer komplexen Welt zu vermitteln. Und mit diesem Ansinnen ist Herr Mainzer passend nun auch im wissenschaftlichen Beirat der Forschungsgruppe KIWIT vertreten. Zur Webseite an der TUM.
Was fasziniert Sie an der Künstlichen Intelligenz als Forschungsthema am meisten?
Schon auf der Schule faszinierten mich die Grundlagen- und Grenzfragen von Philosophie und Wissenschaft. Mit der KI schaffen wir uns Denkwerkzeuge für Erkenntnisse und Problemlösungen, die vor Jahrzehnten nahezu ausgeschlossen schienen. Bei aller kritischen Bewertung der Technikfolgen brauchen wir in Europa diese Faszination für Forschung, die die Grundlage der Innovationskraft unserer Wirtschaft und damit der Wohlfahrt und des Wohlstands unserer Gesellschaft ist.
Was raten Sie Menschen, die sich für das Thema KI sehr interessieren – aber auch ein wenig davon überwältigt sind?
Lesen Sie meine Bücher zum Thema, die immer eine Balance zwischen philosophischer Neugierde, technischer Faszination und kritischer Klärung der Grundbegriffe waren. Nur so kommen wir zu abgewogenen Beurteilungen für die Zukunft. Diese Art von strategischem Denken braucht Europa im weltweiten Wettkampf der politischen Systeme im Zeitalter der KI.
Herr Professor Mainzer, 2025 ist auch das 100. Jahr der Quantenmechanik. Und daher ist es ja auch ein Heisenbergjahr. Heisenberg auf Helgoland – wie jüngst im Deutschlandfunk erinnert wurde. Sie waren als junger Forscher Inhaber jenes Stipendiums, das den Namen des großen Physikers trägt. Können Sie uns mit ein paar Worten noch skizzieren, was der Quantencomputer verheißt?
Ja, Werner Heisenberg hat mich mit seiner mathematischen Brillanz und seinem philosophischen Tiefgang enorm beeindruckt. Nach der Rückkehr von einem Erholungsurlaub auf Helgoland schrieb er am 19. Juni 1925 seine grundlegende Arbeit "Über die quantentheoretische Umdeutung kinematischer und mechanischer Beziehungen" – ein Grundbaustein der modernen Quantenmechanik. Der Quantencomputer ist ein Beispiel dafür, wie langfristige Forschungsdurchbrüche und Innovationen auf Gedankenexperimente und philosophische Prinzipien zurückgehen können.
Erwin Schrödinger hatte 1935 in einem Gedankenexperiment gezeigt, wie sich Zustände in der Quantenwelt überlagern können. Das führte zu der Idee, dass auch Bits als Informationseinheiten (0 und 1) überlagert werden können. Bei der Berechnung wird dann nicht mehr auf die einzelnen Bits nacheinander, sondern auf eine Überlagerung vieler Bits gleichzeitig zugegriffen, was zu enormer Beschleunigung der Rechengeschwindigkeit führt. Probleme, die mit einem klassischen Computer zur Lebenszeit nicht ausgeführt werden könnten, werden nun in Minuten und Sekunden lösbar.
Ein anderes zentrales Prinzip der Quantenmechanik geht auf ein Gedankenexperiment von Einstein, ebenfalls 1935, zurück: Danach gibt es nicht nur wie in der klassischen Physik getrennte Körper in unabhängigen Zuständen an verschiedenen Orten (lokaler Realismus), sondern getrennte Körper an verschiedenen Orten in einem gemeinsamen "verschränkten" Zustand (nicht-lokaler Realismus): Das wurde im Experiment bestätigt und mit Nobelpreisen belohnt. Darauf baut heute in der Technik Quantenkommunikation auf, wonach Sender und Empfänger in einen gemeinsamen Quantenzustand "verschränkt" werden. Man kommt dann zu einem Quanteninternet vieler verschränkter Sender und Empfänger, die augenblicklich irgendwelche Störungen und Attacken registrieren. Die Quantenwelt macht also das Rechnen und Kommunizieren nicht nur schneller, sondern auch sicherer.
Vielen Dank für diese Einblicke. Wir freuen uns auf Ihren nächsten Vortrag.
Klaus Mainzer wird im Herbst auf dem 1. Vernetzungstreffen der Förderlinie Wissenschafts- und Hochschulforschung (WiHo), veranstaltet von Bundesforschungsministerium und der KIWIT-Gruppe, sprechen. Wir werden darüber berichten.
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Vortrag von Klaus Mainzer: "Künstliche Intelligenz im globalen Wettstreit der Wertsysteme". Carl Friedrich von Weizsäcker-Kolloquium, Universität Tübingen, 06.11.2020.
Vortrag von Klaus Mainzer an der Universität Bonn: "Künstliche Intelligenz. Wann übernehmen die Maschinen?", 20.06.2018.
"Von der Quantenwelt zur Künstlichen Intelligenz": Vortrag und Diskussion mit Klaus Mainzer am 05.09.2021 im Rahmen des 9. Internationalen Festivals der Philosophie phil.cologne.



